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Lang ist’s her, ich weiß. Hier ist er endlich, der nächste Blogeintrag.

Wie sagt man doch so schön: “Aller Anfang ist schwer.” Dabei verhält es sich mit Doktoratsprojekten kaum anders, als mit Beziehungen und Auslandssemestern. Man muss sich erst kennenlernen. Gemeinsame Interesse finden, auf denen man aufbauen kann, und dabei kontinuierlich an sich selbst arbeiten und nicht immer gleich den anderen kritisieren, wenn einmal nicht alles nach Plan läuft. Leichter gesagt als getan. Freundin und Studium habe ich schon länger die Treue geschworen, mittlerweile hab ich das aber auch der größten Stadt der Welt. Wir führen seit drei Monaten eine Dreiecksbeziehung über den halben Planeten. Es ist kompliziert. Aber ja, aller Anfang ist schwer…

Schon wenige Tage nach meiner Ankunft in Shanghai wurde mir klar, dass dieser China-Besuch anders werden würde, als die bisherigen. Mit dem Alter werden bekanntlich auch existenzielle Fragen drängernder und somit stand dieser erste große Auslandsaufenthalt unmittelbar nach meiner Ankunft auch bereits im Zeichen des (Miss-)Erfolges. Fließend in Chinesisch mit Doktorehren und TopJob. So ungefähr las sich das großteils selbst aufoktroyierte Anforderungsprofil* bei Abreise. Machbar? Freilich! Immerhin hatte ich ja ein ganzes Jahr Zeit. Mittlerweile sind davon aber schon drei Monate vergangen und noch habe ich nicht viel mehr geleistet, als mich in meinem Zimmer einzusperren und hilflos die Wand anzustarren.


*Das sich in folgende To-Do-Liste feingliedern lässt: Interviews (arrangieren, führen, transkribieren, analysieren), Literaturrecherche (suchen, finden, lesen, lesen, lesen), Konferenzteilnahmen, Unterrichtspraxis, Publikationen, Sprachtraining (mehrmals täglich lesen, schreiben, sprechen) ein Netzwerk bis nach Mexiko und schon einen – besser aber – einhundert Jobs in Aussicht, wenn ich wieder zurückkomme.

“Wos woa mei Leistung?”

Ganz so schlimm ist das alles freilich nicht, aber ganz so lustig, wie ich mir mein erstes Auslandsjahr in meinen blauäugig adoleszenten Phantasien vorgestellt habe, dann doch auch genauso wenig. Gut neunzig Prozent meiner Studienkollegen sind Anfang zwanzig. Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden für sie mehr  “der Onkel”, als ein Freund zu sein, was ich im Übrigen auch seit kurzem in Österreich bin. Onkel sein ist neu und komisch, irgendwie aber auch ganz nett. Es scheint fast so als würden einem Leute mehr zu hören, wenn man sagt man ist Onkel. Es hat etwas standfestes und dennoch ungebundenes, was wiederum hervorragend zu diesem Auslandsjahr und Selbstfindungsnarrativ passt. Denn ja, “der Onkel” beschreibt gut den in die Jahre gekommenen Studenten, nimmt aber auch leise vorweg, dass da noch größere existenzielle Veränderungen auf ihn warten… und natürlich auch Arbeit.

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Shanghai Metro zur Stoßzeit

Ein Doktorat ist leider oft auch eine sehr einsame Angelegenheit. Bücher können bekanntlich nicht sprechen, auch nicht wenn man sie lang genug schüttelt, glaubt mir, ich hab’s probiert – wenn auch nur sanft, ich muss sie ja wieder zurückgeben. Ein Bekannter meinte vor einigen Wochen, diese Stadt wäre nicht dafür gedacht, dass Menschen hier leben, sondern nur sie hier arbeiten zu lassen. Gelegentlich fühle ich mich geneigt, ihm Recht zu geben. Wenn mich die Stadt morgens mit einer Mischung aus frischem Smog und Lärm begrüßt, während ich versuche meine Bücher zu studieren, Emails zu schreiben und Interviews zu transkribieren, kann ich kaum anders, als wehmütig der Ironie zu fröhnen, dass ich sovieles, das ich liebe, für ein Abenteuer zurückgelassen habe, das sich nun viel zu oft in meinen vier Wänden abspielt und wie Arbeit anfühlt (hierfür erwarte ich kein Mitlied…) oder  viel schlimmer noch: erwachsenwerden (…hierfür schon). Ich habe mich noch nicht dazu entschlossen, wie ich das finden soll. Aber ich mag das Essen und mag das essen, das essen, das essen. Das Essen ist toll!

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Das Essen

Die Rechnung geht trotzdem nicht ganz auf. Ego minus Freundin, Freunde, Familie, Facebook, Band, Slam, Label, Wien, alles. Shanghai 2016/17 musste sich – vor allem zu Beginn – zwangsläufig wie ein Verzicht anfühlen. Ein klassisches Heimwehszenario eben. Allein die Gewissheit erst wieder nächsten Sommer zurückzureisen, treibt mir gelegentlich Wasser in die Augen. Oft sind das aber auch nur Taifune, die in regelmäßigen Abständen über die Stadt (her)ziehen. Das macht aber nichts. Ich habe mittlerweile schon drei Regenschirme und einen Regenmantel. Ich habe dazu gelernt, über Shanghai, über das Wetter, über die Leute, über mich.

Ich verstehe nun alles ein bisschen besser, die Sprache miteingeschlossen und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass, sie zu meistern, die  erfüllendste und gleichzeitig wohl schwierigste Aufgabe für mich hier sein wird. Aber auch, dass es am wichtigsten ist, den eigenen Interessen zu folgen, ihnen überhaupt erst  folgen zu können, da sie es auch waren die mich erst hierhergebracht haben. Entsprechend verbringe ich nun auch immer mehr Zeit außerhalb meiner vier Wände, führe mehr und mehr Gespräche mit immer neuen Leuten und lerne Chinesisch im Vorbeigehen und die Geschichten an denen ich interessiert aus erster Hand von den Menschen, die hier leben und arbeiten. Es geht nämlich auch beides. Wenn ich dann erschöpft nachhause zurückkehre und mich in meinen Bücher vergrabe, könnte ich fast meinen, dass sie mir mittlerweile etwas mehr zu sagen haben.

Es fühlt sich an, als wäre ich gerade erst in Shanghai angekommen, gut zu wissen, dass mir noch so viel Zeit hier bleibt.

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Die Aussicht vom Dach meines International Students Dormitory


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