Am 16. April wurde ein Gastkommentar von mir in der “Diskurs” Rubrik der österreichischen Tageszeitung DerSTANDARD publiziert, in dem ich mich mit dem Begriff “Kulturschaffende” ausseinandersetze, genauer einem Artikel dazu, der zuvor ebenfalls im Standard erschienen war. Da der Gastkommentar lediglich in einer verkürzten Form erschienen ist, möchte ich ihn hier noch einmal nachfolgend in voller Länge posten.
Vom Problem der „Kulturschaffenden“ und den Problemen von Kulturschaffenden
Am 3. April 2021 erschien im Kulturresort von derStandard.at ein Artikel mit dem Titel „Warum der Begriff ‚Kulturschaffende‘ NS-belastet ist“. Ich finde sowohl Titel als auch Artikel problematisch.
Warum, möchte ich nachfolgend erläutern.
In einer Zeit des schnelllebigen Tagesjournalismus, der vermehrt mit kontroversiellen Schlagzeilen arbeitet, um Reichweite zu erlangen, kann es gut sein, dass der Informationsgehalt darunter leidet. Binnen Sekunden muss man sich heute dafür entscheiden, warum man etwas gut oder schlecht findet. Nicht selten findet man sich so in einem moralischen Zwiespalt wieder. In einem solchen Zwiespalt sehe ich nun auch „Kulturschaffende“ angekommen.
Ein Wort, das als Überbegriff für Künstler*innen und Kulturvermittler*innen fungiert und im deutschen Sprachgebrauch etabliert – ja sogar „genderneutral“ – ist, wie der Artikel eingangs hervorhebt, hätte seinen Ursprung im Nationalsozialismus und wäre damit für eine progressive Gesellschaft untragbar geworden. Das Problem ist, es gibt kein vergleichbares Wort, das als Überbegriff seinen Platz einnehmen könnte, vor allem keines, das bereits hinlänglich bekannt wäre. Deswegen solle nun eines erfunden werden. Hieraus würde allerdings ein anderes, größeres Problem entstehen.
Natürlich, der Anspruch und Aufruf von Politik und Wissenschaft, sich kritisch mit Vergangenheit und Sprache unseres Landes auseinanderzusetzen, sind wichtig und berechtigt. Es stellt sich hier nur die Frage, ob der Zweck die Mittel rechtfertigt und nicht vor allem den „Kulturschaffenden“ selbst, die als kritisches Moment unserer Gesellschaft eine ebenso wichtige Funktion erfüllen, ein beträchtlicher Image-Schaden entsteht. Da besagter Artikel nur den historischen Ursprung, nicht aber die durchaus positive gegenwärtige Verwendung des Begriffes thematisiert, stellt er nämlich erst eine negative Assoziation her, ohne dabei die – potenziell weitreichenden – Konsequenzen für „Kulturschaffende“ in Betracht zu ziehen.
Eine öffentliche Debatte um die Verwendung des Begriffs „Kulturschaffende“ anzustoßen und im Zuge dessen eine negative Aufladung desselben zu bewirken, wird genau jene am meisten treffen, die ohnehin bereits jetzt ihre Existenzgrundlage gefährdet sehen. Künstler*innen und Kulturvermittler*innen, für die es – Stand heute – keinen anderen adäquaten Überbegriff gibt, haben es in einer Zeit, in der gefühlt alle nach Unterstützungsleistungen rufen, ohnehin schwer, in Politik und Öffentlichkeit Gehör zu finden. Noch schwerer werden sie es haben, wenn man sie aus dem allgemeinen Sprachgebrauch streicht und ihnen somit die Möglichkeit nimmt, für die eigenen Anliegen überhaupt erst als Gruppe auftreten zu können, wenn es schon an ihrer Selbstbezeichnung scheitert.
Ein Überbegriff gibt ihnen erst die Möglichkeit, für verschiedene Kunst-Sparten gemeinsam zu lobbyieren und als Gruppe in der Öffentlichkeit aufzutreten, gesellschaftliche Missstände und politische Entscheidungen zu kritisieren, nicht nur als Musiker*innen, als Autor*innen, Veranstalter*innen, sondern als Summe ihrer Teile, als „Kulturschaffende“ eben. Wie sollen sie das fortan ohne einen etablierten Überbegriff?
Ich frage mich, ob jetzt eine öffentliche Debatte über das Wort „Kulturschaffende“ anzustoßen und ihnen damit womöglich noch mehr Steine, beispielsweise beim Schreiben von Förderanträgen und öffentlichen Auftritten, in den Weg zu legen, tatsächlich gerade wichtiger ist, als ihren Anliegen durch sachpolitische Maßnahmen und Arbeit zu entsprechen.
Ich unterstütze natürlich das Anliegen, unsere Vergangenheit kritisch zu beleuchten und nicht unkommentiert zu lassen. Zeitgleich würde ich aber dafür plädieren, dieses belastende sprachliche Erbe als Auftrag an „Kulturschaffende“ aller Sparten zu sehen, uns die Gräueltaten des Nationalsozialismus nie mehr vergessen zu lassen, anstatt sie aus unserer Sprache und damit aus unserem Bewusstsein zu verdrängen.
Hier geht es zu meinem Gastkommentar im Standard:
https://www.derstandard.at/story/2000125915590/problembegriff-kulturschaffende
Hier geht es zu dem Artikel, auf den ich mich beziehe:
https://www.derstandard.at/story/2000125574320/warum-der-begriff-kulturschaffende-ns-belastet-ist